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Politik&Gesellschaft

Beruflicher Erfolg und privates Glück

Kyra Baginski und Jonathan Auer starten in ihre gemeinsame Zukunft

"Ich erinnere mich noch genau an den erlösenden Anruf", sagt Jonathan Auer. "An einem Samstag klingelte mein Handy, unser Vermieter war dran und sagte: Sie bekommen die Wohnung." Ein halbes Jahr lang hatten der heute 26-Jährige und seine Lebensgefährtin Kyra Baginski darauf gewartet, zusammenziehen zu können. Die richtige Wohnung zu finden, war nicht einfach. Ihre Arbeitsplätze in Paderborn und Brilon sollten gut erreichbar sein; Auer ist auf eine Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln angewiesen, da er aufgrund seiner Sehbehinderung nicht Auto fahren kann.

Bei der Dachgeschosswohnung im westfälischen Büren passte alles; seit September 2015 leben sie dort zusammen. Ein Paar sind sie bereits seit ihrer Zeit am LWL-Berufsbildungswerk Soest (BBW Soest), wo sie die Ausbildung zum Fachpraktiker für Bürokommunikation absolvierten und im Sommer 2015 erfolgreich abschlossen. Heute sind beide als Telefonisten bei der Finanzverwaltung angestellt, Kyra Baginski im Finanzamt Brilon, ihr Lebensgefährte im Finanzamt Paderborn.

"Eigentlich wollte ich nie einen Bürojob", sagt Auer und lacht. "Ich koche gerne und habe mich deshalb für Ausbildungen zum Koch oder Beikoch beworben." Ein Praktikum in einer Großküche zeigte jedoch, dass diese Laufbahn nicht die richtige für den jungen Mann war: "Der Zeitdruck in diesem Beruf und meine Sehbehinderung waren eine schlechte Kombination", blickt er zurück. "Ich habe mich oft bei der Zubereitung von Speisen geschnitten."

Jonathan Auer ist auf dem linken Auge blind, die Sehkraft des rechten Auges liegt bei knapp fünf Prozent. Schon bei seiner Geburt hatte er einen Grauen Star. Als er 13 Jahre alt war, kam ein Glaukom dazu, das schließlich den Sehnerv seines linken Auges zerstörte. Dennoch versuchte er nach seinem Realschulabschluss an einer Förderschule erst einmal, einen regulären Ausbildungsplatz zu bekommen: "Ich habe Hunderte Bewerbungen geschrieben, aber niemand wollte einen stark sehbehinderten Mann einstellen."

Ähnliche Erfahrungen machte auch Kyra Baginski, als sie sich nach ihrer Schulzeit um eine Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten bewarb. "Ich wollte eigentlich in der Nähe meiner Familie bleiben", erzählt die gebürtige Lüdenscheiderin. Deshalb versuchte sie es bei der öffentlichen Verwaltung und Unternehmen in der Umgebung ihrer Heimatstadt – vergeblich. "Es war schon sehr deprimierend, nur Absagen zu bekommen", sagt die 23-Jährige. "Ich brauche ja nicht einmal einen speziell ausgestatteten Arbeitsplatz, und ich kann sogar Auto fahren, weil ich auf einem Auge mehr als 70 Prozent Sehkraft habe."

Die junge Frau leidet an einer Winkelfehlsichtigkeit: Ohne ihre Brille mit speziellen Prismengläsern kann sie nur ein paar Minuten lang normal sehen, dann beginnt ihr linkes Auge, stark nach außen zu schielen. Zwar gleichen die Brillengläser ihre Fehlsichtigkeit aus, doch das Sehen ist für sie trotzdem anstrengender als für Menschen ohne Sehbehinderung. Deshalb besuchte Kyra Baginski ab der zweiten Grundschulklasse bis zum Hauptschulabschluss eine Förderschule.

Nach rund 150 erfolglosen Bewerbungen meldete sie sich über die Agentur für Arbeit beim BBW Soest zu einer Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme an, um verschiedene Berufszweige auszuprobieren. Schnell war klar, dass ihr weder die Metallverarbeitung noch der Bereich Hauswirtschaft liegen. "Die Verwaltung ist für mich das Richtige", stellte die Telefonistin fest. Ihr Erfolg bestätigt ihre Entscheidung: Nach Abschluss ihrer Ausbildung trat sie eine Praktikumsstelle im Finanzamt Brilon an und wurde nach nur zwei Wochen in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen.

Auch Jonathan Auer fand über einen Praktikumsplatz unmittelbar nach der Ausbildung einen festen Job als Telefonist beim Finanzamt Paderborn – ein großer Glücksfall, finden beide. "Ich telefoniere sehr gerne und bekomme oft positive Rückmeldungen von Anrufern", sagt Kyra Baginski. "Und meine Kollegen haben mich sehr herzlich aufgenommen, ich fühle mich wohl." Neben dem angenehmen Umfeld schätzt sie die abwechslungsreichen Aufgaben. Denn die BBW-Absolventin ist nicht nur für die Telefonzentrale verantwortlich, sondern verwaltet auch das Büromaterial. Sie bestellt Briefumschläge, Trennbögen und Ordner nach und überprüft, ob alle Lieferungen vollständig sind.

Weil das Finanzamt Paderborn größer ist als das Amt in Brilon, laufen bei Jonathan Auer deutlich mehr Anrufe ein. "An manchen Tagen komme ich auf ein paar Hundert Telefonate", erklärt er. Für jeden Anrufer sucht er anhand der Steuernummer den richtigen Sachbearbeiter heraus und verbindet weiter. Sein Arbeitsplatz ist mit einem großen Bildschirm ausgestattet, den er mit Hilfe eines Schwenkarms nah zu sich hinziehen kann. Hin und wieder vertritt Auer auch seinen Kollegen an der Pforte und gibt Formulare an Bürger aus oder nimmt ausgefüllte Einkommensteuer-Erklärungen entgegen. "Diesen direkten Kundenkontakt mag ich besonders gern", sagt der junge Mann. "Es ist schön, wenn Menschen fröhlich wieder gehen, weil ich ihnen offen und freundlich begegnet bin."

Während der ersten Monate im neuen Job pendelte Jonathan Auer von seinem Elternhaus in Kassel aus zu seinem Arbeitsplatz, seine Lebensgefährtin lebte in einer Pension in Brilon. Als endlich die Zusage für die Wohnung in Büren kam, machten sie deshalb Nägel mit Köpfen: Gleich am nächsten Tag packten sie Möbel und Kisten in einen Transporter und zogen ein.

Ihre Freude über den neuen Lebensabschnitt ist immer noch riesig. Inzwischen haben sich die beiden verlobt, wollen irgendwann eine Familie gründen. "Aber erst einmal genießen wir einfach unser Leben", sagt Kyra Baginski. "Wir gehen gerne essen, ins Kino und zu Musikfestivals. Wir sind sehr glücklich."

FOTOS: ©LWL

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